Der 10. Oktober 1937 führte aus dem süd-westdeutschen Raum 16 Gesellschaften in Speyer zusammen. Gemeinsam wollte man fasnachtliche Bräuche pflegen und sich bei den Veranstaltungen gegenseitig unterstützen. Doch nur eine kurze Zeitspanne war der erfolgversprechenden Zusammenarbeit beschieden. Zwei Jahre später hat der Krieg das fasnachtliche Geschehen für viele Jahre unterbrochen. Bewährt aber hat sich der Geist der Zusammengehörigkeit. So wurden von vielen Aktiven, die in der Heimat waren, Freunde draußen vom Nordkap bis nach Afrika betreut.
Der Anfang nach dem Krieg war schwer. Die Besatzungsmächte, denen das Brauchtum „Fasnacht” völlig fremd war, machten den Gesellschaften, die sich nach und nach wieder zusammen fanden, ungeheure Schwierigkeiten. Warum eigentlich?
War es so schwer zu verstehen, dass Menschen, die entbehrungsreiche Jahre hinter sich gebracht hatten, wieder froh sein wollten? Sie waren vor 1939 ihrem Humor treu geblieben, und sie hatten ihn nach dem Krieg nicht verloren. Der Humor war und ist eine Äußerung des freien, selbstbewussten Geistes und damit ein nie versiegender Born zur Erhaltung eines Volkes; ein nie versiegender Quell für neue Kraftreserven, um auch in schweren Zeiten das Brauchtum zu erhalten und zu pflegen.
Es bedeutete für viele eine große Herausforderung, sich der neuen Aufgabe des Wiederaufbaues zu stellen, den Boden für die freie Meinungsäußerung mit vorzubereiten und gleichzeitig dadurch einen Beitrag für eine entstehende, junge Demokratie zu leisten. Denn nichts und niemand charakterisiert eine kulturgeschichtliche Situation so scharf und aufschlussreich wie das treffende Wort des Humors, gepaart mit Mutterwitz.
Doch wer Fasnacht in seiner Ursprünglichkeit und seiner elementaren Gewalt nie erlebt hat, wird Fasnacht nie erfassen können. So dauerte es nahezu drei Jahre und war oft von vielen Ungereimtheiten abhängig, ob eine Fasnachtsveranstaltung stattfinden durfte oder nicht. Kaum zu verstehen, dass es so lange dauern konnte, bis sich die Überzeugung durchgesetzt hatte, die Fasnachter wollen eigentlich nur fröhlich sein und dazu beitragen, dass ihre Mitbürger den grauen Alltag für ein paar Stunden vergessen können. Sie hatten auch in dieser schweren Zeit großen Anteil an der Eingliederung der aus ihrer Heimat vertriebenen Mitbürger. Sie wurden mit offenen Armen aufgenommen und waren sehr schnell in die Verein integriert. Sie haben sich bald in ihrer neuen Heimat wohlgefühlt dank der Unterstützung, die sie auch in der Fasnacht erfahren konnten.
Mit Beginn der 50 er Jahre – die Besatzungsstatuten waren gelockert – wurden allenthalben neue Gesellschaften aus der Taufe gehoben. Wurden von 1948 bis 1950 nur sieben im Verbandsgebiet neu gegründet, so schossen sie in der folgenden Zeit von 1951 bis 1962 wie Pilze aus dem Boden. Insgesamt 62 Gesellschaften im Gebiet der Vereinigung badisch-pfälzischer Karnevalvereine sind in diesen 11 Jahren gegründet worden.
Es bestand in jener Zeit ein allgemeiner Bedarf am gesellschaftlichen Leben, aber auch am fasnachtlichen Geschehen, teilzunehmen. Alle Gesellschaften aus dieser Zeit und jene, die in den späteren Jahren entstanden sind, haben sich dank Ideenreichtum und des nimmermüden Einsatzes der Aktiven hervorragend entwickelt. Die Gesellschaften sind in den Gemeinden und in den Städten so in das gesellschaftliche Leben integriert und geben viele Impulse, dass es undenkbar wäre, auf ihre Mitarbeit zu verzichten.
Die Entwicklung in den 50er Jahren war ein Anfang, der auch in den folgenden Jahren, wenn auch nicht mehr unvermindert, anhielt. Waren 1961 schon 78 Gesellschaften im Verband zusammengeschlossen, so konnten 1972 bereits 116 Vereine und Gesellschaften gezählt werden.
Und im Jahr 1974 waren es 134 Vereine.
Im Jubiläumsjahr waren es bereits 203 Gesellschaften, Vereine, Gilden, Zünfte und Corps, die den zweitgrößten Verband im Bund Deutscher Karneval darstellen. Mit all den Korporationen, die der Vereinigung badisch-pfälzischer Karnevalvereine angehören, sind mittlerweile mit über 300 Gesellschaften über 70.000 aktive und passive Mitglieder zusammengeschlossen.
Und in all den Gesellschaften finden wir über 10.000 Jugendliche, die in den Garden und Spielmannszügen großen Anteil am fasnachtlichen Geschehen haben. In den Garden werden jährlich die deutschen Meister ermittelt. Deutscher Meister zu sein ist ein stolzer Titel, denn aus dem gesamten Bundesgebiet bewerben sich die besten Garden darum.
Die Vereinigung Badisch-Pfälzischer Karnevalvereine ist besonders erfolgreich. Mehr als die Hälfte aller Titel in den verschiedensten Disziplinen tragen einzelnen Garden des Verbandes. Wir sind stolz auf unsere jugendlichen Aktiven. Es ist eine gesunde Jugend, die Leistung bringen möchte und für die das Messen im sportlichen Tanz, das gute Abschneiden bei Musikwettbewerben im Vordergrund steht.
Der Weg zu diesen Erfolgen, der Weg zum Jubiläum war aber nicht leicht. Denn all zu gern war man bereit, einen Fasnachter als einen leichtsinnigen, leichtlebigen Menschen abzuqualifizieren. Jedoch die gezielte Aufbauarbeit in den Gemeinden, in den Städten, führte die Vereine bald in die vorderste Reihe des örtlichen Kulturlebens und ihr Veranstaltungen, getragen von hohem Niveau, haben dazu beigetragen, dass die vorgefasste Meinung einer tiefgreifenden Revision Platz machen musste.
Im Humor und im echten Mutterwitz ist das Lächeln verschiedener Zeiten und Länder enthalten, in all seinen Abwandlungen , die die Jahrhunderte in unmerklichen Varianten vollzogen und der jeweiligen Zeit und ihren Besonderheiten angeglichen haben. Das Brauchtum kann nie in starre Bahnen gepresst werden. Es kann nur bestehen, wenn es dem Wandel der Zeit angepasst wird. Das Brauchtum, von Generation zu Generation weitergegeben, ist vielschichtig in seiner Art. Die Fasnacht hat sich zwar an der Oberfläche gewandelt, doch wer in alten Unterlagen nachliest, wird tief beeindruckt sein, über die Kraft, die das Brauchtum besitzt. Er wird aber auch erstaunt sein über die Wandlungsfähigkeit und über die Anpassungsfähigkeit, die wir Menschen besitzen. Wandlungsfähigkeit und Urtümlichkeit der Fasnacht zu erhalten und in Einklang zu bringen, wird für die Zukunft unsere große Aufgabe sein. Denn die Fasnacht darf nicht isoliert sein, sie soll in die Belange und Bereiche des Menschen eingebettet bleiben, und es müssen Tun und Wollen zur Erhaltung des Brauchtums in einer vernünftigen Relation zueinander stehen.
Unser Brauchtum ist vielschichtig. Die Unterschiede darzustellen, sie aufzuzeigen, verständlich zu machen, wird zu unserer Aufgabe gehören. Es ist ein großes Ziel und es ist eine Herausforderung für alle. Wir stellen uns dieser Aufgabe und wir rufen alle zur Mitarbeit auf. Ihre Unterstützung wird die Grundlage dafür sein, dass einst unsere Nachkommen ein lückenloses Bild über das schönste Brauchtum, nämlich die Fasnacht, besitzen werden. Und hier im Haus der Badisch-Pfälzischen Fasnacht sollen Gegenstände und Zeugnisse der fasnachtlichen Bräuche gesammelt, geordnet und gepflegt werden. Diese Dokumentation soll der Öffentlichkeit zur Vertiefung und zum besseren Verständnis für die fasnachtlichen Bräuche dienen.
Echter Mutterwitz, volksnahe Fasnacht, feinsinniger Humor und Satire werden immer nebeneinander bestehen können. Hier in Baden und der Pfalz ist die Heiterkeit kein Lippenbekenntnis, sondern Ausdruck echter Freude, die aus dem Herzen kommt. So soll es bleiben zum Wohle der Fasnacht.
Dr. Werner Pfützer, Mannheim
Ehrenpräsident der Vereinigung Badisch – Pfälzischer Karnevalvereine e.V.